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  • Aurel Croissant

Demokratische Kollateralschäden in Asien: Covid-19 trifft Demokratien mit Vorerkrankungen stärker

Die wenig überzeugenden Leistungen einiger demokratischer Regierungen bei der Eindämmung der Pandemie und ihrer Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft lassen zudem alte Debatten über die Leistungsfähigkeit von Demokratien und Nicht-Demokratien neu aufflammen.

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Die Staaten des pazifischen Asiens sind hier keine Ausnahme. Dabei zeigt der Krankheitsverlauf der Demokratie durchaus Parallelen zu dem bei Menschen. Ähnlich wie Patient*innen mit Vorerkrankungen anscheinend anfälliger dafür sind, schwer an dem Virus zu erkranken, haben auch Demokratien, die bereits unter politischen Missständen wie zunehmender Polarisierung und abnehmender Achtung der Normen liberaler Demokratie leiden, ein höheres Gefährdungsrisiko. Während sich die Probleme der Demokratie über Jahre hinweg aufgebaut haben, bietet die Pandemie in Demokratien, die solche Vorerkrankungen aufweisen, illiberalen und antidemokratischen Kräften neue Gelegenheit zum Abbau demokratischer Errungenschaften.

Obwohl das pazifische Asien demokratischer ist als noch vor 30 Jahren, zeigen die Daten verschiedener Demokratiebarometer wie des Varieties of Democracy-Projekts und des Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung, dass die weltweite Autokratisierungswelle der letzten etwa 15 Jahre auch diese Region erfasst. Ausnahmen sind Südkorea, Taiwan und Japan. Diese Staaten erfüllten schon vor Beginn der Pandemie die Standards der rechtsstaatlichen Demokratie. Ihre Demokratien zeigen auch aktuell ein hohes Maß an Resilienz. Andere Länder wie Indien, die Philippinen, Sri Lanka, Ost-Timor und Indonesien verzeichneten schon vor der Pandemie eine Erosion demokratischer Prozesse und Strukturen oder sie werden von mehr oder weniger autoritären Regimen regiert, die demokratische Grundfreiheiten ohnehin beschneiden. Hier ist das demokratische Immunsystem schwach und das Gefährdungspotenzial hoch.

Demokratische Vorerkrankungen äußern sich in fünf Symptomen: (1) ein institutionelles Erbe starker Exekutiven und schwacher Mechanismen der horizontalen Rechenschaftspflicht, (2) die historisch bedingt herausgehobene Stellung des Militärs im politischen System und bei der Erbringung von Staatsaufgaben, (3) eine schwache Unterstützung der Bürger für liberale Vorstellungen von Demokratie, (4) polarisierende Klassen- oder Identitätskonflikte und (5) eine Abnahme der demokratischen Qualität politischer Institutionen. Nichts davon ist vom Virus verursacht, aber die Pandemie und der Umgang der Regierungen damit können die genannten Probleme substanziell verstärken.

Daraus ergibt sich für die meisten Staaten in Asien ein erhöhtes Risiko pandemiebedingter Demokratieschäden. Tatsächlich zeigen sich schon jetzt demokratische Kollateralschäden der von vielen Regierungen ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung der öffentlichen Gesundheit. Dazu gehören

- der Ausbau der schon zuvor nur unzureichend rechtsstaatlich gebändigten Exekutivgewalt (Sri Lanka, Philippinen, Indien),

- Einschränkungen einer demokratischen Öffentlichkeit (überall außer in Südkorea, Taiwan und Japan),

- die Militarisierung der Pandemiestrategien (Sri Lanka, Pakistan, Myanmar, Indonesien, Philippinen),

- die Verschiebung oder Absage von Wahlen (Indien, Sri Lanka, Indonesien, Pakistan) und

- die Stärkung der Instrumente des Überwachungsstaates, wie die Ermittlung von Bewegungs- und sozialen Kontaktprofilen der Bürger*innen per Mobiltelefon, Identitätsprüfung und Registrierung beim Besuch öffentlicher Orte (von Bus und Bahn bis hin zu Kinos) in allen Ländern, deren Staaten die hierfür notwendige Handlungsfähigkeit besitzen.

Darüber hinaus erhöhen demokratische Rückschritte in der Zeit vor dem Virus die Wahrscheinlichkeit für ein schlechtes Krisenmanagement während der Pandemie. Ein Beispiel ist Indonesien, wo populistische Ahnungslosigkeit, religiöse Bigotterie und politische Polarisierung sowie chronische Korruption gerade im Gesundheitssektor die Reaktionsfähigkeit des Staates schwächen. Ähnlich auch in den Philippinen, wo der populistische Präsident Duterte die Gefahr des Virus zunächst herunterspielte und sich dann umfassende Notstandsvollmachten genehmigen ließ. Zwar hat seine Regierung weiterhin keinen Pandemieplan, aber sie weiß genau, wie sie Kritiker zum Schweigen bringen kann.

Neben kurzfristig wirkenden Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaat sind potenzielle Langzeitschäden infolge des Ausbaus von Überwachungskapazitäten und Möglichkeiten zur Einschränkung bürgerlicher Grundfreiheiten zu nennen. Sie findet man nicht nur in Ländern wie China und Vietnam, wo die Regierungen ohnehin ihre Bürger*innen mit harter Hand kontrollieren. Auch Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong – Länder, die von Expert*innen als Beispiele für die effiziente Verfolgung potenzieller Covid-19-Fälle gelobt werden – führten elektronische Kontrollsysteme ein, die es den Behörden ermöglichen, Infektionswege nachzuvollziehen und infizierte Personen leichter zu überwachen. Auch wenn solche Maßnahmen gegenwärtig zum Zwecke des Bevölkerungsschutzes legitim oder erforderlich erscheinen, sind sie anfällig für zukünftigen Missbrauch durch die Behörden.

Wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, ist die Demokratie schon unter „normalen“ Bedingungen schwer gegen Autokratisierung zu verteidigen. In Zeiten der Pandemie gilt das erst recht. Mechanismen der "horizontalen Rechenschaftspflicht“ (unabhängige Verfassungsinstitutionen) waren in Asien schon vor Covid-19 selten wirksam. Häufig sind Gerichte und andere Institutionen horizontaler Gewaltenkontrolle die ersten Opfer exekutiver Machtanhäufung. Mechanismen einer "vertikalen Rechenschaftspflicht", vor allem transparente und saubere Wahlen, sind auch eher selten geeignet, um Machtmissbrauch zu stoppen. Selbst wo sie nicht verschoben werden und die Spielregeln eine faire und freie Abstimmung erlauben, hat die Regierung immer noch einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Opposition. In Krisenzeiten stehen die Exekutivorgane im Mittelpunkt. Wenn Regierungsvertreter*innen rund um die Uhr präsent sind, ist es für die Opposition schwierig, Aufmerksamkeit zu erlangen. Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien können ihre Aktivitäten in die Online-Arena verlagern, aber das kann ein ungleiches Spielfeld nicht kompensieren.

Bleiben als Schutzmechanismen die Mobilisierung von Protest und der gewaltlose Widerstand ("diagonale Rechenschaftspflicht"). Inmitten einer Pandemie verliert jedoch auch dieser Mechanismus an Wirksamkeit. Zum einen verschärft die unsichere Gesundheitslage die Probleme kollektiven Handelns und wirkt der breiten Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen entgegen. Zum anderen wirken Notfallmaßnahmen der Regierungen der Protestmobilisierung entgegen. Der Versuch kann nicht nur die Gesundheit der Teilnehmenden gefährden, sondern ermöglicht es auch, sie als "notorische Unruhestifter" zu verunglimpfen, die die öffentliche Gesundheit und die nationale Sicherheit gefährden. Dieses Szenario spielt sich etwa auf den Philippinen ab.

Und nun? Eine alternative Möglichkeit, die Demokratie während und nach der Covid-19-Pandemie zu verteidigen, wäre die Mobilisierung internationaler Unterstützung. Ob dies gegenwärtig ein erfolgversprechender Ansatzpunkt ist, darf bezweifelt werden. Zu gering scheint der Wille oder die Bereitschaft der traditionellen Geber von Demokratiehilfe, autoritären Entwicklungen in Asien entgegenzutreten. Schon vor Beginn der Pandemie war die Region Hauptschauplatz einer unterschwelligen strategischen Rivalität zwischen den USA und China. Während das Vertrauen in die liberale Demokratie vielerorts schwindet und Demokratieförderer auf beiden Seiten des Atlantiks, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, positioniert sich China als alternativer Anbieter wirtschaftlicher, militärischer und diplomatischer Unterstützung für Regierungen in Asien. Das verringert die Möglichkeiten westlicher Demokratien gegenzusteuern, senkt die Kosten autoritären Missbrauchs und schwächt das Immunsystem der Demokratie in Asien.

Kurzfristig sind die Perspektiven für Rechtsstaat und Demokratie in Asien also nicht vielversprechend. Das „absolut chaotische Desaster“, das auch Populisten in Asien und andernorts anrichten, beschädigt den Glauben in die Demokratie und kontrastiert mit der Mär vom entschlossenen Handeln der autoritären Regierung in Peking. Tatsächlich scheint die chinesische Propaganda zu verfangen.

Dabei zeigen Beispiele wie Südkorea und Taiwan, dass die Aufrechterhaltung einer gesunden Demokratie ein Schlüsselfaktor für die Erhaltung der öffentlichen Gesundheit ist. Liberale Demokratien in Asien können wirksam auf die Pandemie reagieren und gleichzeitig wirtschaftliche und demokratische Folgeschäden minimieren, vorausgesetzt, sie verfügen über den politischen Willen und die Staatskapazitäten zur Umsetzung von Lösungen. Erste empirische Studien zeigen, dass dort, wo beides gegeben ist, Demokratien sogar effektiver bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionswelle sind als Autokratien.

Literatur

Amnesty International (2020), Philippines: President Duterte gives "shoot to kill" order amid pandemic response.

Bernhard, M., Hicken, A., Reenock, C. et al. (2020), “Parties, civil society, and the deterrence of democratic defection”, Studies in Comparative International Development, Vol. 55, S. 1-26.

Bertelsmann-Stiftung (2020), BTI Transformationsindex, Gütersloh.

Booth, M. und J.A. Lassa (2020), “Are populist leaders a liability during COVID-19?”, in: The Jakarta Post, Jakarta, 08.04.2020.

External Democracy Promotion Network (2018), Democracy promotion in times of uncertainty. Trends and challenges, PRIF Report 13/2018, Peace Research Institute Frankfurt.

Frey, C.B. et al. (2020): Covid-19 and the future of democracy, Vox – CEPR’s policy portal, Centre for Economic Policy Research, 20.05.2020.

Holmes, R.D. und P. D. Hutchcroft (2020), “A failure of execution”, in: Inside Story, Carlton, 04.04.2020.

Lührmann, A. et al. (2020), Autocratization Surges – Resistance Grows. Democracy Report 2020, Varieties of Democracy Institute (V-Dem), Götheborg.

Lührmann, A. und S.I. Lindberg (2019), “A third wave of autocratization is here: what is new about it?”, Democratization, Vol. 26, Nr. 7, S. 1095-1113.

Zeleny, J. (2020), Obama says White House response to coronavirus has been 'absolute chaotic disaster', CNN Digital Expansion, 09.05.2020.

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Autor*innen

Aurel Croissant

Professor für Politikwissenschaft, Universität Heidelberg

E-Mail: aurel.croissant@ipw.uni-heidelberg.de

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