Fragilität und Konflikt Instrumente und Strukturen der EZ Methoden und Standards
  • Jochen Kluve

Wie kann die Entwicklungszusammenarbeit auf die Corona-Krise reagieren? Einige Denkanstöße aus Evaluierungsergebnissen

Angesichts der Corona-Krise setzen viele Geber Sofortmaßnahmen auf, erweitern ihre Aktivitäten und planen neue Programme. In der KfW Entwicklungsbank haben wir uns gefragt, welche Evaluierungserkenntnisse der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) und anderer Institutionen den Blick bei der Konzeptionierung schärfen können. Neben übergreifenden Erkenntnissen aus früheren Krisen und Katastrophen möchten wir auch sektorspezifische Denkanstöße geben.

Gesundheitsrisikoindex der Länder der Welt. Quelle: KfW 14. Evaluierungsbericht, auf Basis von WHO Daten (2015) © KfW

i. Denkanstöße aus früheren Krisen und Katastrophen

Early Response ist die Devise zur Eindämmung von Epidemien und Krisen. Das zeigen Analysen von Ebola-Projekten: “The costs of late responses are hard to quantify, but studies have suggested that half the caseload could have been avoided—equivalent to thousands of lives saved—if the Ebola response had arrived one month earlier” (Clarke/Dercon, 2017, S. 32). Die FZ-Evaluierungserfahrung lehrt: Early Response gelingt nicht immer, Maßnahmen können zu spät kommen oder die Krise entwickelt sich unerwartet, worauf auch die Asiatische Entwicklungsbank verweist: „Design rapidly, but be mindful of quality at entry“ (Vijayaraghavan, 2020, S. 3). Die KfW Entwicklungsbank stellte 2016 fest: Schon bei voraussehbareren Krisen – wie Nahrungsmittelkrisen am Horn von Afrika – ist die internationale Antwort eher langsam und damit ineffizient und teuer (KfW, 2016).

Bei der Entwicklung zusätzlicher EZ-Ansätze sollten daher Vorlaufzeiten und das bei der Implementierung zu erwartende Stadium der Pandemie berücksichtigt werden. Wo schnelle Lösungen gefordert sind, ist das effektive Zusammenspiel von humanitärer Hilfe und EZ wichtig und die Zusammenarbeit mit etablierten (UN-)Institutionen zu überlegen.

Flexible und harmonisierte Finanzierungen sind sinnvoll, wenn die Umstände dynamisch und unvorhersehbar sind. Oft ist die möglichst zweckungebundene Kofinanzierung multilateraler Organisationen ein effektives und effizientes Instrument, um in dynamischen Interventionskontexten bedarfsgerechte Maßnahmen sicherzustellen. Im Jemen konnte bei der Eskalation des Bürgerkrieges 2015 durch zweckungebundene FZ-Mittel an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) eine kurzfristige Nahrungsmittelverteilung ermöglicht werden – an alle Jemenit*innen ohne Exklusionscharakter. Dementsprechend bestätigen die FZ-Evaluierungen im Allgemeinen positive Effekte von Kofinanzierungen.

Ownership ist zentral für Erfolg und Nachhaltigkeit; unklar bleibt aber oft die Frage, wer das Risiko trägt. In der Reaktion auf die Ebola-Krise zeigte sich bei überforderten nationalen Regierungen Unklarheit darüber, wer die Verantwortung übernimmt: nationale Regierungen, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder Geber (Clarke/Dercon, 2016, S. 17/18)? Breite institutionelle Unterstützung ist wünschenswert, um bei nationalen Akteuren ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich bei Pandemiebekämpfungsmaßnahmen um einen Beitrag zu einem globalen öffentlichen Gut handelt (Vijayaraghavan, 2020, S. 3).

Community-based Approaches werden von zahlreichen Evaluierungsstudien als erfolgsrelevant bewertet. Die enge Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren hilft, die Dringlichkeit für sofortige Unterstützung zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Dem kulturellen Kontext angepasste Kommunikation und die Einbindung lokaler Führungspersönlichkeiten sind wichtig für den Projekterfolg. Dies war auch ein Erfolgsfaktor bei der Bekämpfung der Ebola-Krise (Vijayaraghavan, 2020, S. 3).

Do no harm ist ein wichtiges Leitmotiv in der Planung von Maßnahmen in Konflikt- und Katastrophensituationen. Die Basis bieten Vulnerabilitätsanalysen, die nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern auch die wirtschaftliche Situation und bestehende Konfliktlinien berücksichtigen.

EZ-Umsetzungspartner wie die Vereinten Nationen oder internationale Nichtregierungsorganisationen können erhöhten Risiken ausgesetzt sein, unter anderem durch verstärkte Zugangsbeschränkungen, aber auch indem sie Ziel von Anfeindungen, Propaganda oder Übergriffen werden. Auch hier kann auf Ebola-Erfahrungen aufgebaut werden: Humanitäre Hilfe und EZ sollten vermeiden, die Position von Konfliktparteien zu stärken oder zu Veränderungen im Machtgefüge zu führen. Zur konfliktsensiblen Reaktion auf Naturkatastrophen berichtet unsere Evaluierung von Tsunami-Projekten aus Südostasien.

Kostensteigerungen in einer Krisensituation sollten frühzeitig antizipiert werden, um effiziente und bedarfsgerechte Leistungen zur Krisenbewältigung anbieten zu können. Da nationale sowie globale Infrastruktur oft nur noch eingeschränkt funktioniert, resultieren Lieferkettenengpässe in erhöhten Preisen für Lebensmittel sowie Konsumgüter und in einem gesteigerten Leidensdruck der Krisenbetroffenen. So erhöhten sich beispielsweise 2015 die Kosten für die Implementierung der Programme des Welternährungsprogramms für die erfolgreiche Nahrungsmittelhilfe im Jemen erheblich im Vergleich zu vorangegangen Projekten.

ii. Denkanstöße aus relevanten Sektoren

Im Gesundheitsbereich ist Prävention ein etablierter Ansatz: (i) durch Aufklärung und (ii) durch Impfkampagnen. Für Covid-19 sind aktuell nur Aufklärung und symptomatische Behandlung möglich, mittelfristig wird hoffentlich ein Impfstoff verfügbar sein.

Bei der Prävention durch Aufklärung zu Übertragungswegen, Schutzmöglichkeiten und Risiken bieten die Erfahrungen aus den Bereichen HIV und Familienplanung wertvolle Erkenntnisse: Social-Marketing-Agenturen arbeiten kontextbasiert, können auf das Vertrauen der Bevölkerung bauen und ergänzen staatliche Strukturen. Gemeindebasierte Ansätze haben sich zur Förderung von Hygienesensibilisierungsaktivitäten (vgl. Yates, 2017) bewährt (De Buck et al., 2017). Aufklärung und Hygiene bleiben essenziell, auch wenn für Covid-19 Tests und Behandlungsmöglichkeiten verfügbar sind, da diese (meist) nicht durchgehend für alle zugänglich sind. Trotz Behandlung darf die Prävention nicht vernachlässigt werden, wie es im Bereich HIV/Aids leider zu beobachten ist.

Sobald sich die Zulassung eines Impfstoffes gegen das neuartige Corona-Virus abzeichnet, wird neben der Prävention ein Schwerpunkt auf Impfprogrammen liegen. Als erfolgsentscheidend haben sich bei FZ-Poliovorhaben im Rahmen der Global Polio Eradication Initiative in Indien und Nigeria Vertrauen, enges Monitoring und gegebenenfalls eine Anpassung an die Sicherheitslage sowie die Einbindung aller wesentlichen Akteure herausgestellt.

Die vertikal und initial stark von der internationalen Gemeinschaft getriebenen Programme hatten kaum Spill-over-Effekte auf das nationale Gesundheitssystem. Es bleibt bei groß angelegten Immunisierungskampagnen darauf zu achten, dass allgemeine Impf- und Gesundheitsprogramme nicht negativ beeinflusst werden, wie etwa in Indien, wo eine große Kampagne zu einem Mangel an Impfpersonal führte. Solche Verdrängungseffekte ergaben sich auch in Westafrika, als die Bekämpfung von Malaria unter der Priorisierung von Ebola litt (Walker et al., 2015).

Unabhängig vom Stadium der Pandemiebekämpfung spielen die Aufrechterhaltung der Basisversorgung mit Elektrizität und Wasser sowie die Abwasserentsorgung eine wichtige Rolle. Nicht nur, weil die zur Pandemiebekämpfung erforderlichen Strukturen auf diese Basisversorgung angewiesen sind, sondern auch weil Unterbrechungen der Versorgung im Wasser- und Abwasserbereich zu weiteren Gesundheitsproblemen bei der Bevölkerung (schlimmstenfalls zu Epidemien wie Cholera oder Ruhr) führen können.

Auch soziale Sicherungsmaßnahmen können ein Ansatzpunkt der EZ sein, um die Auswirkungen der aktuellen Krise zu mindern. Evaluierungen der KfW befassten sich zum Beispiel mit verschiedenen Transfermechanismen bei der Ernährungssicherung: Barmittel und Gutscheine zum Kauf von Nahrungsmitteln (anstatt Nahrungsmittelverteilung) bieten der Zielgruppe größere Wahlfreiheit, was sich positiv auf die Diversität der Nahrungsaufnahme auswirkt und die Selbstwirksamkeit bei der Kaufentscheidung stärkt. Beispiele hierfür finden sich in den Evaluierungen zur Basisernährung im Jemen I + II und zu UN-Finanzierungen in Nahost.

Das Aufsetzen von Mikroversicherungssystemen kann die finanziellen Lasten der Einzelnen im Krankheitsfall reduzieren. Dabei ist immer wichtig, die Themen Kostendeckung und Nachhaltigkeit der unterstützten Systeme im Blick zu behalten.

Die Auswirkungen der Corona-Krise sind sowohl in Deutschland als auch in den Entwicklungsländern multisektoral und erfordern daher Anstrengungen in allen entwicklungsrelevanten Sektoren, um die Resilienz der Partnerländer auch für zukünftige Schocks zu erhöhen.

Dr. Jochen Kluve ist Leiter der Evaluierungsabteilung der KfW Entwicklungsbank und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Literatur

De Buck, Emmy et al. (2017), “Promoting handwashing and sanitation behaviour change in low- and middle-income countries: a mixed-method systematic review”, 3ie Systematic Review 36, International Initiative for Impact Evaluation (3ie), London.
Clarke, Daniel J. und Sefan Dercon ), Dull Disasters? How Planning Ahead Will Make a Difference, Oxford University Press, Oxford.
Vijayaraghavan, Maya et al. (2020), “Responding to the Novel Coronavirus Crisis: 13 Lessons from Evaluation”, ADB Learning Lessons, Asian Development Bank.
Walker, P. G. et al. (2015), “Malaria morbidity and mortality in Ebola-affected countries caused by decreased health-care capacity and the potential effect of mitigation strategies: A modelling analysis”, Lancet Infectious Diseases 15(7), S. 825 - 832.
Yates, Travis et al. (2017), WASH Interventions in Disease Outbreak Response: an Evidence Synthesis. Humanitarian Evidence Programme, Oxfam GB, Oxford.

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Es handelt sich bei den Beiträgen nicht um Ergebnisse mit Empfehlungen aus einzelnen Evaluierungen des DEval. Diese finden sich in unseren Evaluierungsberichten, Policy-Briefs und Pressemitteilungen. Die von den Autor*innen vertretenen Meinungen stellen nicht grundsätzlich die Meinungen des DEval dar.  

Autor*innen

Jochen Kluve

Leiter der Evaluierungsabteilung der KfW Entwicklungsbank

E-Mail: jochen.kluve (at) hu-berlin.de

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