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Covid-19: Plädoyer für die Stärkung evidenzbasierter Entwicklungszusammenarbeit

Der Entwicklungshilfeausschuß der OECD forderte bereits im April in einer Erklärung zur globalen Covid-19-Pandemie Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in den ärmsten Ländern unserer Erde. In den dortigen Gesellschaften trifft die Pandemie auf schwache öffentliche Gesundheitssysteme und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens begegnen einem deutlich höheren Maß an sozialen Notlagen und fragilen Wirtschaftsstrukturen.

© Simon Davis/DFID

Der Entwicklungshilfeausschuß der OECD forderte bereits im April in einer Erklärung zur globalen Covid-19-Pandemie Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in den ärmsten Ländern unserer Erde. In den dortigen Gesellschaften trifft die Pandemie auf schwache öffentliche Gesundheitssysteme und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens begegnen einem deutlich höheren Maß an sozialen Notlagen und fragilen Wirtschaftsstrukturen. Die Lage bereits marginalisierter Gruppen verschlechtert sich hierdurch weiter, Gewalt gegen Frauen und Kinder nimmt vielerorts zu, politische Rechte der Bevölkerung können langfristig Schaden nehmen. Kurzfristig löst die Pandemie insofern vielerorts eine humanitäre Krise aus, mittelfristig führt sie zu einer Wirtschaftskrise, begünstigt soziale und politische Verwerfungen und gefährdet die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Die Weltbank und auch UN-Entwicklungsorganisationen prognostizieren bereits deutlich negative Konsequenzen der Pandemie für die weltweite Armutsbekämpfung.

Während die OECD-Länder weiterhin daran arbeiten, die weitreichenden Folgen von COVID-19 im eigenen Land in Grenzen zu halten, haben ihre Regierungen und auch viele internationale Organisationen bereits Sofortprogramme der Entwicklungshilfe zugesagt und mit deren Umsetzung begonnen. Diese Bemühungen sind aus humanitärer wie auch aus einer Perspektive aufgeklärten Eigeninteresses richtig. Gleichzeitig war in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten, dass der Druck, schnell auf humanitäre Notlagen zu reagieren, auch zu vermeidbaren Fehlern geführt hat. In einer globalen Krise wie dieser gilt daher umso mehr, dass das akkumulierte Wissen aus der Analyse vergangener Kriseninterventionen systematisch genutzt wird, um vermeidbare Fehler nicht zu wiederholen. Dies betrifft auch das Wissen über Prozesse, Organisation und Strategien von Interventionen. Daher sollten die jetzt anlaufenden humanitären und Entwicklungshilfemaßnahmen von Ergebniskontrolle, Evaluierung und wissenschaftlichen Auswertung begleitet werden.

Evaluierungen der Reaktionen auf die jüngeren Epidemien (SARS, Ebola, Vogelgrippe) und Naturkatastrophen liefern wichtige Erkenntnisse für Entscheidungsträger, die heute mit diesen Herausforderungen konfrontiert sind. Grundsätzlich zeigt sich dabei wie bei anderen globalen oder regionalen Krisen, dass die zentrale Herausforderung darin besteht, einerseits eine gute Balance zwischen schnellen und flexiblen Reaktionen und andererseits einem angemessenen Maß an Koordination, guter Planung und Kontextsensibilität zu finden. Ausgehend von den Erfolgen und Misserfolgen in der Vergangenheit und dem was wir gegenwärtig beobachten, sind unserer Meinung nach die folgenden vier Lehren besonders wichtig:

- Von großer Bedeutung sind mit Entscheidungskompetenzen versehene Mechanismen, um die verschiedenen Programme einzelner Geberorganisationen zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Selbst in normalen Zeiten belasten die Vielzahl von Projekten und die Zersplitterung der Entwicklungszusammenarbeit lokale Akteure und führen zu Doppelarbeit und Ineffizienz. In Krisenzeiten kann eine weitere Fragmentierung durch zivilgesellschaftliche, bilaterale und multilaterale Organisationen schwerwiegende Schäden verursachen.

- Organisationen der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollten bei Planung und Durchführung eng mit der politischen Führung auf nationaler Ebene zusammenarbeiten und die Eigenverantwortung auf lokaler Ebene fördern. Dies begünstigt kontextspezifische Lösungen und vermeidet, dass wirksame, im eigenen Land entwickelte Maßnahmen konterkariert werden. Nur wenn Regierungen die Herausforderungen der Krise ignorieren und sich nicht zu grundlegenden Menschenrechtsstandards bekennen, sollte es die bevorzugte Strategie sein, staatliche Strukturen zu umgehen und wenn nur mit lokalen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.

- Hilfsorganisationen und lokale Regierungen sollten transparent und einheitlich mit der lokalen Bevölkerung kommunizieren und auch auf die Informationen lokaler Akteure und Gruppen zurückgreifen. Für ein erfolgreiches lokales Krisenmanagement und für die Stärkung des Vertrauens in staatliche Strukturen und externe Unterstützung ist eine einheitliche, klare und auch hinsichtlich existierender Unsicherheiten transparente Kommunikation von großer Bedeutung. Zudem ermöglicht der Zugang zu Informationen nicht nur mehr Ermächtigung der Betroffenen zu angemessenem Handeln, sondern stärkt auch die Bevölkerung, Rechenschaftspflicht zu definieren und einzufordern.

- Schließlich gilt es, die Übergänge zwischen kurzfristiger humanitärer Hilfe und längerfristiger Zusammenarbeit zu gestalten, so dass nicht nur akute Krisen bekämpft, sondern auch die Resilienz der Gesundheitssysteme gestärkt werden. Analysen der Ebola-Hilfsmaßnahmen in Westafrika ergaben, dass die Unterstützung oft abrupt und unkoordiniert beendet wurde, wodurch nicht nur kurzfristige Erfolge gefährdet wurden und die langfristige Stärkung des Gesundheitssystems ausblieb. Gerade in unserer globalisierten Welt mit ihrer nun auch im Gesundheitsbereich offensichtlich gewordenen Interdependenzen gilt für externe Akteure, auch die Strukturen von Gesundheitssystemen zu stärken.

Evidenzbasierte Politikgestaltung bedeutet jedoch nicht nur, die aufbereiteten Erfahrungen aus vergangenen Krisen für die gegenwärtigen Maßnahmen und Programme zu nutzen. Gerade vor dem Hintergrund der vielerorts problematischen Datenlage bedeutet evidenzbasierte Politikgestaltung auch, dass Akteure der Entwicklungszusammenarbeit sowie nationale Regierungen bereits jetzt in solide Daten-, Monitoring- und Evaluierungssysteme investieren. Dies benötigen wir für lernorientierte Erkenntnisgewinne aber auch um legitime Fragen zu treuhänderischen Risiken und zur Wirksamkeit der Hilfsprogramme beantworten zu können.

Evaluierung und Begleitforschung sollten daher rasch mit rigorosen Wirkungsanalysen beginnen zu analysieren, wie sich die Unterstützung im Zusammenhang mit COVID-19 auf die betroffenen Zielgruppen auswirkt und ob sich unbeabsichtigte negative oder auch positive Effekte auf Gesundheit und/oder sozioökonomische Indikatoren ergeben. Aber auch die Überprüfung der Planung, Koordination und Ausrichtung auf die Präferenzen der lokalen Akteure sollte zeitig begonnen werden. Gleichzeitig gilt aber auch für den Bereich der Evaluation und Wirkungsmessung, dass zu viele unkoordinierte Aktivitäten wenig nützlich sind und operative Einheiten auch belasten können. Deshalb haben die Evaluierungseinheiten zahlreicher für Entwicklungszusammenarbeit zuständiger Ministerien und multilateralen Entwicklungsorganisationen vereinbart, den Beitrag zur unabhängigen, koordinierten und fundierten Bewertung der Fortschritte und Ergebnisse auch gemeinsam und im Austausch miteinander vorzunehmen.

Evidenzbasierte Politikgestaltung in der Entwicklungszusammenarbeit bedeutet gewonnene Erkenntnisse möglichst systematisch zu nutzen und daran zu arbeiten, neue Evidenz darüber zu gewinnen, was funktioniert und was nicht. Dies ist mühsam und manchmal auch nicht ohne Enttäuschung, weil erwartete Wirkungen sich nicht einstellen. Um kurz- mittel- und langfristig mehr Wirksamkeit zu erreichen, sind Investitionen in die Gewinnung solider Evidenz aber unumgänglich.

Dies ist eine übersetzte und abgeänderte Fassung eines Blogbeitrags der ursprünglich beim OECD Blog Development Matters veröffentlicht wurde: https://oecd-development-matters.org/2020/04/30/covid-19-and-development-co-operation-we-know-a-lot-about-what-works-lets-use-the-evidence/

Die Autorin und Autoren sind Vorsitzender (Bastøe) und stv. Vorsitzende (Asbeek-Brusse, Faust) des Evaluierungsnetzwerks des Entwicklungsausschusses der OECD. Das Netzwerk fördert Rechenschaftslegung und Lernprozesse in der Evaluierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Disclaimer

Die Blog-Artikel geben die Meinungen der Autor*innen wieder.

Es handelt sich bei den Beiträgen nicht um Ergebnisse mit Empfehlungen aus einzelnen Evaluierungen des DEval. Diese finden sich in unseren Evaluierungsberichten, Policy-Briefs und Pressemitteilungen. Die von den Autor*innen vertretenen Meinungen stellen nicht grundsätzlich die Meinungen des DEval dar.  

Autor*innen

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Prof. Dr. Jörg Faust

Direktor

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Per Øyvind Bastøe

Direktor, Evaluierungsabteilung, Norad

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Direktor, Abteilung Evaluierung (IOB), MOFA, Niederlande

E-Mail: wendy.asbeekbrusse@minbuza.nl

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