Fragilität und Konflikt
  • Jochen Flasbarth

Der Humanitarian-Development-Peace-Nexus - Königsweg für fragile Kontexte

Fragilität ist eine enorme Hypothek für das Erreichen der Agenda 2030 und ein Prüfstein für die Entwicklungspolitik. Sie gefährdet Entwicklung, verstärkt Hunger und Armut und steigert das Risiko für Gewaltkonflikte. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, des Klimawandels und die globalen Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind alarmierende Anzeichen für diese negativen Verstärkungseffekte und zeigen den enormen Handlungsbedarf. Doch wie kann die Entwicklungspolitik angesichts so vieler Herausforderungen Prioritäten setzen?

© Felipe Dana, Getty Images/Munir Uz Zamman/

Ziel ist ein ganzheitliches Engagement in Krisenkontexten, das kurz-, mittel- und langfristige Ziele verbindet und die Transformation und Resilienz fördert. Unter den veränderten Bedingungen der „Zeitenwende“ sind für die Entwicklungspolitik damit besondere Herausforderungen verbunden. Im Kontext einer zunehmenden Fokussierung auf militärische Dimensionen von Sicherheit ist ein ganzheitliches Begriffsverständnis im Sinne „menschlicher Sicherheit“ von entscheidender Bedeutung, denn sie ermöglicht neben der körperlichen Unversehrtheit auch, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben führen zu können, in dem sich individuelle Talente und Potenziale zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen entfalten können. Das BMZ hat sein Engagement auf nationaler, bilateraler und multilateraler Ebene gezielt angepasst und arbeitet weiterhin daran, den volatilen Bedingungen in fragilen Kontexten bestmöglich zu begegnen.

Internationale Dimension: Deutschland als Vorreiter für HDP-Ansätze

In der deutschen EZ steht das Thema „fragile Staatlichkeit“ im Fokus – als globale Aufgabe und in der Kooperation mit unseren Partnerländern. Deutschland zählt zu den wichtigsten Gebern für fragile Staaten und hat auch im internationalen Diskurs über das Engagement in fragilen Kontexten eine Vorreiterrolle übernommen. Die Bundesregierung hat dazu 2018 den Vorsitz des International Network on Conflict and Fragility (INCAF) im Entwicklungsausschuss (Development Assistance Committee, DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD) übernommen (bis 2022 gemeinsam mit Großbritannien). So konnten wir dazu beitragen, Empfehlungen für die kohärente Verknüpfung von Humanitärer Hilfe, EZ und Friedensförderung (Humanitarian-Development-Peace/HDP-Nexus) auf den Weg zu bringen. Damit verfügt Deutschland über einen gemeinsamen Referenzrahmen für das Ineinandergreifen unterschiedlicher Politikfelder und Handlungsebenen und für eine verbesserte Wirksamkeit von Maßnahmen in fragilen Kontexten. Die Entwicklungspolitik ist dabei immer Teil eines abgestimmten Regierungshandelns und der Ressortzusammenarbeit im Sinne des HDP-Nexus. Ein bedeutendes Gemeinschaftsprojekt ist dabei die im Februar 2022 gegründete Nexus Academy – eine gemeinsame Initiative von DAC-Mitgliedern, Unterorganisationen der Vereinten Nationen (VN) und Nichtregierungsorganisationen. Die Akademie zielt darauf ab, ein gemeinsames Verständnis von HDP-Nexus-Ansätzen zu schaffen, vermittelt Kenntnisse und entwickelt Kompetenzen für die Umsetzung in der Praxis weiter. Deutschland unterstützt die Nexus Academy maßgeblich und fördert damit das gemeinsame Lernen für nationale und internationale Akteure. Das BMZ stärkt Synergien mit anderen Gebern, um Dopplungen zu vermeiden und die jeweiligen komparativen Vorteile wirkungsvoll zu nutzen. Dazu zählen zum Beispiel die gemeinsame Beauftragung von VN-Organisationen (joint programming) oder die Zusammenarbeit in Team-Europe-Initiativen auf europäischer Ebene.

Evaluierungen, Analysen und Monitoring als Grundlage für verbesserte Wirksamkeit

Gemeinsames Lernen und Erfahrungswissen sind in diesem Kontext besonders relevant. Ein wichtiges Element für unsere Politikgestaltung bleibt deshalb, entwicklungspolitische Beiträge kontinuierlich an das zunehmende Wissen über Good Practices für das Handeln in fragilen Staaten anzupassen und weiter zu verbessern. In fragilen Situationen mit unübersichtlichen Problemlagen können sich die Bedingungen vor Ort schnell ändern. Eine kontinuierliche Analyse, die konfliktsensible Gestaltung der Zusammenarbeit und eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung von Strategien und Umsetzung sind daher wesentliche Voraussetzungen für ein erfolgreiches Engagement.

Good Governance und fragile Staatlichkeit

Erkenntnisse aus der Forschung und Praxis zeigen, dass mit höheren staatlichen Kapazitäten in den Partnerländern auch die Erfolgsbilanz von Entwicklungsmaßnahmen steigt. Dabei gilt es, insbesondere auch lokale Strukturen in den Blick zu nehmen. Daraus folgt für uns eine doppelte Zielsetzung: Staatliche Institutionen und Prozesse zu fördern, hilft bei der Überwindung von Fragilität und verbessert gleichzeitig die Chancen für eine wirksame und nachhaltige EZ. Mit der Zeitenwende und der zunehmenden Verschärfung von Systemrivalitäten in der internationalen Zusammenarbeit müssen wir uns fragen, wie wir mit autoritären Regimen umgehen wollen. Entwicklungspolitische Ansätze, die sich gezielt auf die Förderung demokratischen Regierens und legitimer Staat- Gesellschaft-Beziehungen richten, werden damit umso relevanter. Daher berücksichtigen wir konsequent Demokratie- und Governance-Aspekte bei der Umsetzung umwelt- und sozioökonomischer Ziele (just transition) und fördern eine aktive Zivilgesellschaft und inklusive Teilhabe marginalisierter Bevölkerungsgruppen – ganz im Sinne einer feministischen Entwicklungspolitik.

Vernetzter Ansatz

In der Praxis erfordert ein vernetzter Ansatz für ein kohärentes Gesamtengagement ein hohes Maß an Abstimmung und Koordination – besonders unter den volatilen Bedingungen fragiler Staatlichkeit. Für die Verzahnung von Humanitärer Hilfe und EZ in fragilen Kontexten müssen die politische Steuerung und das Engagement vor Ort noch stärker ressortübergreifend erfolgen. Handlungsleitend dafür ist das „Konzept zur besseren gemeinsamen Analyse und abgestimmten Planung“ (GAAP) für eine engere Zusammenarbeit zwischen dem AA und dem BMZ in Ländern, in denen beide Bundesressorts mit Maßnahmen aktiv sind. Dazu gehört ein kontinuierlicher und enger Austausch für eine möglichst effektive und bedarfsorientierte Unterstützung. Ein wichtiger Schritt dafür sind ressortgemeinsame Evaluierungen, um unser Politikhandeln zu überprüfen und stärker auf Wirkungen und Evidenzen auszurichten. Eine erste solche Evaluierung wurde mit Blick auf unsere Zusammenarbeit in Irak bereits abgeschlossen; seit 2022 läuft eine weitere Evaluierung zum Engagement des AA, des BMZ und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) in Afghanistan.

Relevante Ansätze und Instrumente der Entwicklungspolitik

Aus dem „States of Fragility Report 2022“ der OECD wissen wir: Das Fragilitätsbarometer weist weiter nach oben. Wie können vor diesem Hintergrund Konfliktursachen und fragile Staatlichkeit nachhaltig adressiert werden? Dem Zusammenspiel unterschiedlicher Politikfelder – im Sinne der Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ – kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Der „DAC-Prüfbericht über die Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland 2021“ würdigt diesbezüglich die Kriseninstrumente des BMZ – die strukturbildende Übergangshilfe und die Sonderinitiative „Geflüchtete und Aufnahmeländer“ als Brücke zu allen drei Dimensionen des Humanitarian-Development-Peace-Nexus. Sie werden kontextspezifisch eingesetzt, passen sich an den Charakter der jeweiligen Krise an, können schnell und flexibel umgesetzt werden und erlauben zugleich einen mittelfristigen Planungshorizont. Auch auf internationaler Ebene richtet sich das entwicklungspolitische Engagement gezielt auf relevante Treiber und Ursachen von Fragilität – besonders mit Blick auf Eskalations- und Verstärkungseffekte infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Ein wichtiges Handlungsfeld sind dabei die globalen Auswirkungen für die Ernährungssicherheit. Im Mai 2022 hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze daher gemeinsam mit der Weltbank das Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Diese gemeinsame Anstrengung ist ein Beispiel für schnelle sowie kohärente und nachhaltige Krisenreaktionen an der Schnittstelle von Humanitärer Hilfe und EZ.

„Auf internationaler Ebene richtet sich das entwicklungspolitische Engagement gezielt auf relevante Treiber und Ursachen
von Fragilität – besonders mit Blick auf Eskalations- und Verstärkungseffekte infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.”

Strategische Ausrichtung der deutschen Entwicklungspolitik

Den vernetzten Ansatz im Alltag umzusetzen, bleibt eine Daueraufgabe. Sie erfordert einen kontinuierlichen Austausch und ein kohärentes Gesamtengagement auf unterschiedlichen Handlungsebenen über Akteurs- und Sektor- grenzen hinweg. Das BMZ hat dafür in den letzten Jahren gute Voraussetzungen geschaffen und die Friedensdimension der Entwicklungspolitik noch stärker in den Mittelpunkt seines Handelns gestellt. In vielen Vorhaben adressieren wir zentrale Dimensionen fragiler Staatlichkeit und bündeln entwicklungs- politische Ansätze für Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung. Das BMZ ist damit international einer der größten Investoren für den Frieden. Wir gestalten unsere Partnerschaften kontext- spezifisch, flexibel und bedarfsgerecht. Entwicklungs- und Friedensbedarfe in fragilen Staaten können damit umfassend und gezielt bearbeitet werden.

Primat der Prävention

Auch die beste Planung und Abstimmung sind kein Garant für Erfolg. Zivile Konfliktbearbeitung in fragilen Kontexten ist langwierig und mit hohen, schwer kalkulierbaren Risiken verbunden. Frieden und Stabilität entstehen nicht über Nacht. Sie erfordern kontinuierliches Engagement und langfristige Perspektiven. Gemeinsames Oberziel, Leitbild und Fundament für Politikhandeln in fragilen Kontexten bleibt deshalb das Primat der Prävention. Gewaltkonflikten und schweren Katastrophen vorzubeugen, verhindert menschliches Leid, bewahrt erreichte Entwicklungserfolge und ist deutlich wirksamer als ein reaktives Krisenmanagement. Und was noch zu oft verkannt wird: Prävention ist die weitaus bessere Investition als jede spätere Krisenintervention. Krisen können durch vorausschauende, strategische Präventionsarbeit im akteurs- und sektorübergreifenden Schulterschluss vermieden werden. Denn: Vorbeugen ist und bleibt besser als Heilen!

Autor*innen

Jochen Flasbarth

Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

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